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Folgende Rede hatte ich für den heutigen Schulausschuss vorbereitet. Der zwischenzeitlich zurückgezogene Punkt 5 des Antrags „Gesundheitsschutz von Kindern in der Coronapandemie“ wurde erneut eingebracht, weil sich der Umstand, dass das Gesundheitsamt vorbeugende Quarantäne angemessen umsetzt, geändert hatte. Anstatt bei Ansteckungen in Schulen und Kitas prophylaktisch von Clustern auszugehen, wird jetzt angenommen, dass virushaltige Aerosole direkt auf den Boden fallen und niemanden anstecken, dessen Maske auf halb acht hängt oder aufgrund des Alters diese gar nicht erst tragen kann. Das ist absonderlich.
Das hätte meine Rede werden können
Kultusminsterin Yvonne Gebauer von der FDP begründet die Umstellung bei Quarantäne, der mit dem vorliegenden Änderungsantrag gefolgt werden soll, mit der Sicherheit der Schulen. Sie führt dabei explizit auf, dass Abstände eingehalten würden. Sind unsere Schulen plötzlich viel größer geworden? Gibt es neue Sitzplätze an der Decke? Wer die Einhaltung der AHA+L-Regel behauptet, hat in den letzten Monaten kein Klassenzimmer gesehen. Sind die vom Rat beschlossenen Luftreiniger und CO2-Ampeln bereits überall in den Schulen, in denen U12-Kinder unterrichtet und betreut werden, aufgestellt? Wird etwa nicht in vielen Schulen zum Testen von allen Kids gleichzeitig die Maske abgenommen? Oder bei den Mahlzeiten in der OGS? Und sind dort die Mensen plötzlich viel größer geworden? Und angesichts des Abstands von 5 Tagen, bis am Dienstag morgen das positive Ergebnis eines am Mittwoch zuvor negativ getesteten Kindes vorliegt, kann in dieser Umgebung fleißig Aerosol ausgeatmet werden, das in der gesamten Klasse für Ansteckungen sorgen kann. Ansteckungen insb. der Sitznachbarn sind wegen der Lücken im Schutzkonzept sogar wahrscheinlich. In der Stadt Köln hat man das begriffen. Dort werden die Sitznachbarn mehrere Tage lang täglich getestet, um auf die Quarantäne verzichten zu können. Das wäre dringend geboten, wenn man schon nur das Indexkind absondert.
Und dann kommt jetzt die Schnapsidee mit der Freitestung am 5. Tag. Das wird sich insbesondere dann rächen, wenn ein präsymptomatisches Kind, dessen infektiöse Phase erst am oder nach dem 6. Tag beginnt, was bei immerhin der Hälfte aller Fälle so ist, am 5. Tag „freigetestet“ wird. Nur weil das für Reiserückkehrer so gemacht wird, ist das noch lange keine Begründung. Durch welche Bevölkerungsgruppen wurden denn nach dem Sommer 2020 auch im Sommer 2021 wieder Viruseinträge im Lande verteilt. Durch freigetesteste Reiserückkehrer.
Und um es noch mal zu verdeutlichen: Kinder spielen eine Rolle in dieser Pandemie, und sie werden selbst auch krank. Polio hatte übrigens ein ähnliches Verhältnis mit überwiegend symptomlosen, aber in niedriger Prozentzahl mit schwerwiegenden Folgeschäden sowie seltenen Todesfällen. Jene Krankheit wurde konsequent bekämpft. Covid-19 ist offensichtlich egal. Wirklich?
Stand gestern werden in Deutschland 17 Kinder auf Intensiv betreut, Anfang Juni waren es noch 0. Auch hier gibt es exponentielles Wachstum. Je höher die Infektionszahlen steigen, desto mehr Kinder werden schwer krank. Wie viele Kinder aus Leverkusen mussten denn bisher wegen Covid-19 stationär behandelt werden? Weisen Sie bitte die Familien darauf hin, dass es Arbeitsunfälle sind, wenn sich Kinder in Schule oder Kita anstecken, und diese daher Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung haben.
Es gibt mittlerweile die Evidenz für schwere Verläufe bei Kinder, wie sie im Jahr 2020 immer z.T. vehement verneint wurde. In den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich. In Jacksonville, Florida, einer Großstadt mit knapp 900.000 Einwohnern sind seit Beginn der Pandemie bereits 7 Kinder an Covid-19 gestorben, erst Anfang September kamen zwei Fälle dazu. Jacksonville hat ungefähr 5x so viele Einwohner. Selbst wenn unterstellt wird, dass die Gesundheitslage in Deutschland etwas besser ist als in den USA, müssen wir uns rein statistisch gesehen auf mind. ein durch Covid-19 gestorbenes Kind aus Leverkusen einstellen.1
Aber selbst wenn die akute Phase vorbei ist, drohen Gesundheitsgefahren: 1:4.000 Kindern entwickeln PIMS, eine lebensbedrohliche, z.T. intensivpflichtig zu behandelnde Komplikation nach einer Infektion mit SARS-CoV-2. Zum Vergleich: 1:100.000 Personen entwickelten Sinusvenenthrombosen nach Impfung mit AstraZeneca. Da war vielen das Risiko zu hoch.
Das Post-Covid-Syndrom LongCovid liegt bei Kindern im niedrigen einstelligen Prozentbereich; das RKI führt mehrere Studien an, bei denen ein Risiko zwischen 1 und 4% festgestellt wurde. Bei umfassender Durchseuchung wären bundesweit mehrere zehntausend Kinder betroffen. Wir wissen, dass das Virus neurotrop ist, also die Blut-Hirn-Schranke überwindet und das Nervensystem und wohl auch das Gehirn selbst angreifen kann. Auch bei Kindern, wo die Organe noch in Entwicklung sind.
Kinder können zudem ihre möglicherweise noch nicht vollständig geimpften Eltern anstecken. Gerade in der Elterngeneration gibt es noch viele Impflücken, weil sie in der Priorität ganz hinten lagen und sich viele auch für unverwundbar halten. Fälschlicherweise – so haben in Österreich z.B. über 700 Kinder mindestens ein Elternteil durch Covid19 verloren. Es ist eine Pandemie der Ungeimpften. Und in den unteren Jahrgangsstufen sind dies alle.
Wir kennen das Virus jetzt noch nicht einmal zwei Jahre. Über Spätfolgen ist noch wenig bekannt, wenn man das jetzt endlich auch von der STIKO anerkannte LongCovid absieht. Kinder haben auch bei symptomlosen Verläufen Biomarker im Blut, die die Bildung von Mikrothromben anzeigen. Das sind Blutgerinnsel, die langfristig z.B. zu Schäden in Nieren oder Gehirn führen können. Schlaganfälle, Dialysepflicht – all das kann Folge der Infektion sein. Keinen Impfstoff der Welt würde man mit solchen Risiken zulassen.
Apropos Impfstoff: Die Firma Biontech hat angekündigt, dass die Zulassungsstudien für Kinder zwischen 5 und 11 abgeschlossen sei und derzeit die Daten für die Zulassungsbehörden zusammengestellt werden. Sie werden in den nächsten paar Wochen eingereicht, und eine Zulassung durch die EMA ist innerhalb kurzer Zeit zu erwarten. Spätestens Ende Oktober – das sind gerade einmal sechs Wochen – können auch Grundschüler geimpft werden. Wir brauchen also nur noch ein kleines bisschen Zeit. Verbauen Sie diese Chance nicht den Kindern, die es bislang erfolgreich verhindern konnten, sich anzustecken.
Mit dem Änderungsantrag wollen SPD, CDU, Grüne und FDP den Kindern in Leverkusen stattdessen ein umfassendes Infektionsangebot machen. Das ist abzulehnen. Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie die voraussichtliche Mehrheit für den Antragnach erfolgter Delta-Durchseuchung unserer Kinder nicht bitter bereuen müssen.
Was stattdessen passierte
Ich habe die Rede dann nicht gehalten, sondern auf zahlreiche Wortmeldungen verteilt, weil der Fachbereich Schulen mitteilte, dass die Stadt Leverkusen die fahrlässige KörperverletzungAnweisung des Kultusministeriums so umsetzen würde.
Was dann geschah, könnt Ihr im Thread ab https://twitter.com/die_socke/status/1437433152356630528 lesen. Unter anderem dies:
Ich habe mich übrigens anschließend bei den Grünen bedankt. Da kam zwar im Sitzungsverlauf einiges an Kleingerede und Fehlinformation2, aber der Antrag, Kontaktpersonen engmaschig nachzutesten, ist besser als die Regelung des Kultusministeriums.
Eventuell haben die vielen Hinweise darauf, was so problematisch ist, geholfen, diesen Kompromiss zu erzielen. Ursprünglich sollte das nur für die Fälle gelten, in denen das Gesundheitsamt aufgrund der Situation umfassendere Quarantäne verhängen wollte. So muss dies aber immer bei positiven Tests durchgezogen werden.
Der angenommene Beschlussempfehlung
Hätte die Schriftführerin den Antrag VOR der Abstimmung statt danach vorgelesen, hätte ich ggf. sogar für den Antrag stimmen können. Und hier der Wortlaut:
Resonanz
Ich hab es bis in den Stadtanzeiger geschafft:
- Apropos Statistik: bundesweite Todesfälle bei jungen Menschen, Stand 9.9.2021[↩]
- So kam die Aussage, dass an allen Schulen in Leverkusen 3x pro Woche getestet würde. Dies gilt aber nur für weiterführende Schulen. In Grundschulen werden derzeit zwei Lolli-PCR-Tests durchgeführt: i.d.R. montags und mittwochs. In weiterführenden Schulen werden montags, mittwochs und freitags Antigen-Schnelltests angewendet. Das Gesundheitsamt meint, aufgrund der höheren Sensitivität des PCR-Tests in der Grundschule sei 2x/Woche ausreichend. Konsequenz: Das mittwochs getestete Kind, das nach Mittwoch infektiös wird, gilt übrigens bis zum positiven Test am Dienstag morgen als negativ getestet und dürfte bei 3G überall rein.[↩]
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