Wer hätte es ahnen können? Die Fallzahlen von unter 15-jährigen Kindern haben sich in der vergangenen Woche fast verdoppelt:
Und Ihr fragt Euch, warum ich seit Monaten die Gebetsmühle auspacke, dass genau das mit B1.1.7 und offenen Bildungseinrichtungen passieren wird?
Erst hieß es, dass seien ja vorläufige Daten. Dann hieß es, die wären jetzt zwar bestätigt, aber aus anderen Ländern. Dann hieß es, es seine zwar viele andere Länder, aber eben nicht Deutschland. Dann hieß es, das sind ja andere Bundesländer. Dann hieß es, das läge nur an den vielen Schnelltests.
Und ich sage, dass sind klassische Leugnungstechniken von Wissenschaftsfeinden. In PLURV ist das das U, unerfüllbare Erwartungen. Und auch für das Verschieben dieser Erwartungshaltung gibt es längst einen Fachbegriff: moving the goalposts.
Apropos Schnelltests:
Das sind doch beste Voraussetzungen dafür, mit Schnelltests umfassende Öffnungen zu erlauben. Nicht.
Und während sich die Leugner und Kleinredner auf die ewig gleichen Argument zurück ziehen, unter der Pandemie gäbe es ja so massive Anstiege von psychischen Erkrankungen, passiert dies auf den Intensivstationen:
Ja, das sind Einzelfälle. Anekdoten sind keine Beweise. Aber diese Einzelfälle häufen sich seit Wochen, und sie werden so lange immer mehr werden, bis endlich konsequente Maßnahmen getroffen werden. Und die Zahlen laufen immer noch mehrere Wochen nach:
- Die Infektionen gehen nach eingeleiteten Maßnahmen erst nach ca. 14 Tagen zurück. Weil die Inkubationszeit bis zu 14 Tage dauert.1
- Die Krankenhausaufnahmen gehen erst nach weiteren 8-15 Tagen zurück, weil dies die Phase ist, wo das durch einen Zytokinsturm ausgelöste Hyperinflammationssyndrom die gefährliche zweite Phase schwerer Verläufe darstellt2.
- Die Sterbezahlen gehen erst weitere 7-10 Tage später zurück, was der durchschnittlichen Verweildauer auf den Intensivstationen entspricht, auf die Patienten mit Hyperinflammationssyndrom verlegt werden3. Jedenfalls so lange es noch freie Kapazität auf den Intensivstationen gibt.
In Brasilien gibt es unterdessen eine weitere besorgniserregende Entwicklung:
Die meisten der gestorbenen Kinder in Brasilien sind Babys. Das liegt daran, dass es für SARS-CoV-2 – im Gegensatz zu den meisten anderen Infektionskrankheiten – offenbar keinen Nestschutz durch Weitergabe von Antikörpern der Mutter über Plazenta und Muttermilch gibt.
Aber auch wenn man älter ist, sind Verläufe von Covid-19 keineswegs immer harmlos. Und je mehr Fälle es gibt, desto mehr nicht harmlose Verläufe gibt es. Zum Beispiel in den so vorbildhaft durchgeimpften USA.
Tja, und wie fühlt man sich, wenn die weiterhin ausbleibenden Maßnahmen zeigen, wie sehr man sich in Deutschland um die Kinder sorgt4.
Es gibt Stimmen, die unterstellen den stillhaltenden Regierungen einen Plan: Erst wenn wir harte Triage in den Krankenhäusern UND Schlangen von Ambulanz-Fahrzeugen vor überfüllten Notaufnahmen UND Berge von Särgen haben, werden sie konsequent handeln. Weil dann die Bevölkerung massive Angst bekommen hat und das grässliche Gegreine der Wirtschaft verstummen wird. Die Frage ist nicht, ob das eine Verschwörungstheorie ist. Die Frage ist eher: Sind die Entscheider wirklich so dumm oder haben sie einen menschenverachtenden Plan?
Immerhin haben wir Fortschritte bei den Impfungen. Aber auch da gibt es Verbesserungsbedarf:
Und ein Impfstoff für Kinder ist weiterhin nicht wirklich in Sicht5. Das heißt: Die zweite Hälfte von 2021 wird genauso übel wie die erste, nur halt für die Kinder. Also für genau diejenigen, die zum Schutz der Älteren seit März 2020 auf massiv viel verzichten. Dirk Paessler hat das für Euch mal bis Jahresende modelliert:
Was wirklich besonders hässlich ist an diesem Verlauf: Ab Juli findet das komplette Infektionsgeschehen praktisch nur noch bei den U16 statt, die einfach noch nicht geimpft sind. Dies kann man an dieser Grafik mit den Inzidenzen der Altersgruppen sehen (Regelung wie beschrieben):
Hier sieht man, dass sich nach dem “Öffnen” im Juni, weil wir ja unter 100 sind, sofort eine vierte Welle bei den Kindern und Jugendlichen entwickelt, die sich im Oktober, wenn die eingerechnete saisonale Sommer-Milderung der Ansteckungen wegfällt, zur 5. Welle führt. Auf die das Modell dann mit einem Sägezahn-Muster der R-Werte reagiert: Der JoJo-Lockdown. Alle 1-2 Wochen wird “geöffnet” und “geschlossen”.
Weil das Gesetz nur die “normale” Inzidenz als Beobachtungswert verwendet, kann es die gigantischen Inzidenzen bei den jungen Menschen nicht sehen und nicht darauf reagieren, das ist ein fataler Konzeptfehler!
Wenn man sich das als Fallzahlen anschaut, dann sieht man, dass ab Juli jede Woche ca. 50.000 Kinder und Jugendliche infiziert werden würden – JEDE Woche – mit weiterer Eskalation im Herbst!
Und dann nochmal: Auch Kinder erkranken schwer an Covid-19 oder sterben sogar daran.
NoCovid. Jetzt!
- Zitat aus dem Covid-19-Steckbrief des RKI: „Die Inkubationszeit gibt die Zeit von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung an. Die mittlere Inkubationszeit (Median) wird in den meisten Studien mit 5-6 Tagen angegeben. In verschiedenen Studien wurde berechnet, zu welchem Zeitpunkt 95% der Infizierten Symptome entwickelt hatten, dabei lag das 95. Perzentil der Inkubationszeit bei 10-14 Tagen.“[↩]
- Das RKI beschreibt dies so: „Einige Patienten mit schwerer SARS-CoV-2-Infektion entwickeln 8-15 Tage nach Erkrankungsbeginn eine Verschlechterung im Sinne eines Hyperinflammationssyndroms, in dessen Folge es zu Multiorganversagen kommen kann, das mit einer hohen Mortalität assoziiert ist.“[↩]
- Zitat aus dem Ärzteblatt: „Die mittlere Verweildauer der COVID-19-Patienten auf der Intensivstation lag bei Fällen mit Komplexbehandlung bei 11,0 Tagen und bei Fällen ohne Komplexbehandlung bei 4,3 Tagen – im Mittel insofern bei 9,1 Tagen.“[↩]
- So sehr, dass manche frustriert aus der SPD austreten wollen.[↩]
- Auch wenn es für Comirnaty einen Antrag auf Notfallzulassung in den USA gibt. Für Jugendliche ab 12 Jahren. Für kleinere Kids sind die Studien gerade erst angelaufen.[↩]
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