Pflege und Gesundheit

Warum freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege abgeschafft werden müssen

Sollte an der Fixierungspraxis weiter festgehalten werden?
Sollte an der Fixierungspraxis weiter festgehalten werden?

Die PIRATEN sind die mit den bürgerlichen Freiheiten. Dazu zählt auch die Bewegungsfreiheit und damit einhergehend der mittlerweile im Programm angekommene Verzicht auf freiheitsentziehende Maßnahmen (siehe Punkt 13.12.7 Pflege ohne freiheitsentziehende Maßnahmen). Durch körpernahe Fixierung entsteht ein gravierendes Risiko für schwere bis schwerste Verletzungen. Selbst bei gerichtlich genehmigter Fixierung ist aufgrund der hohen Risiken nur durch engmaschigste Beaufsichtigung sicherzustellen, dass es nicht zu  Verletzungen kommt. Insb. um ein erkanntes Sturzrisiko zu reduzieren, sind Fixierungen kontraproduktiv. Daher lehnt die Piratenpartei Fixierungen ab und weist auf die engen  Grenzen des rechtfertigenden Notstands hin.

Es gibt mittlerweile genug Pflegende, die um das Risiko von körpernaher Fixierung wissen, weil sie entsprechende Literatur kennen, Fortbildungen besucht oder leidvolle Erfahrungen mit den entsprechenden Verletzungen oder Todesfällen gemacht haben. Mehrere Studien zeigen, dass es nicht an der Personalsituation oder den Krankheiten der Bewohner liegt, wie häufig freiheitsentziehende Maßnahmen in Pflegeeinrichtungen angewandt werden. Unter http://www.redufix.de/cms/website.php?id=/de/materialien/newfilename.html sind die Vorträge des Redufix-Projektes von 2006 verlinkt. Dort wird auf die Studien und Projekte Bezug genommen. So gibt es z.B. unter http://www.redufix.de/html/img/pool/Todesfaelle_Pueschel.pdf einen Vortrag zu Todesfällen mit näheren Quellenangaben und bei http://www.redufix.de/html/img/pool/DGGG__ELL_Homepage.pdf einen Vortrag zur Entwicklung einer evidenzbasierten Praxisleitlinie zur Vermeidung von FEM.

Die vermeintliche Notwendigkeit, auch auffälligste Patienten mit körpernaher Fixierung „aus dem Verkehr“ zu ziehen, wird von zahlreichen Pflegeexperten hinterfragt. Stattdessen drohen massive Gesundheitsgefahren, die leider immer noch zu viele Pflegekräfte unterschätzen. Im vergangenen Jahr versuchte die Rheinische Post noch, das Problem, dass in Leverkusen bei jedem 14. Heimbewohner freiheitsentziehende Maßnahmen angewendet werden, kleinzureden. Immerhin war der Berliner Tagesspiegel da weiter und forderte, auf Gurte zu verzichten.

Eine Studie von 2009 förderte laut Professor Thomas Klie zutage, dass pro Tag in Deutschland 340.000 Menschen eingesperrt, festgebunden oder durch Medikamente ruhiggestellt werden. Allein in Baden-Württemberg werden nach Zählungen des Medizinischen Dienstes bis zu elf Prozent aller Menschen, die zu Hause gepflegt werden, in ihrer Freiheit eingeschränkt. Bei Demenzkranken seien es bis zu 30 Prozent – auch, weil die Angehörigen sich nicht mehr anders zu helfen wissen. In deutschen Pflegeheimen werden bis zu zehn Prozent der Bewohner mit Gurten ans Bett oder den Rollstuhl gefesselt. Was laut Thomas Klie nicht in jedem Fall an zu wenigen Mitarbeitern liegt. Beim Vergleich von Heimen mit gleicher Personalausstattung schwankte die Fixierungsquote zwischen vier und 58 Prozent. „Sie ist wesentlich abhängig von der Haltung der Mitarbeiter“, sagt Klie. „Es ist ein Unterschied, ob sie die Bewohner nur beaufsichtigen oder ihnen Teilhabe am Leben ermöglichen wollen.“ Das Problem tritt übrigens nicht nur in der Pflege auf, sondern auch in der Kinderbetreuung.

Den Richtern, die über solche freiheitsentziehenden Maßnahmen entscheiden sollen, müssen die Erkenntnisse über die Gefahren von körpernaher Fixierung vorliegen, weil erst dann die richterliche Genehmigung ausgewogen erfolgen kann. Außerdem sollten die zu nutzenden Hilfsmittel wie Protektoren z.B. für die Hüfte oder den Kopf sowie Sensoren, die das Aufstehen der pflegebedürftigen Person akustisch oder durch Signal an ein bestehendes Notrufsystem melden, als individuelle Pflegehilfsmittel von der Pflegeversicherung finanziert werden.

Nachdem bereits mehrere Gerichtsurteile die Notwendigkeit von körpernaher Fixierung ablehnten, setzt sich die Rechtsauffassung, dass das Risiko zu stürzen die tiefgreifende Einschränkung der Freiheit nicht rechtfertigt, immer mehr durch. Wegen der bestehenden Missstände bei freiheitsentziehenden Maßnahmen wurde die Nationale Stelle zur Prävention von Folter mit der Überprüfung von Pflegeeinrichtungen beauftragt. Das Justizministerium NRW weist zur Vermeidung von freiheitsentziehenden Maßnahmen auf zwei erprobte Alternativen hin: die Leitlinie FEM des Werdenfelser Weges, einer Initiative zur Vermeidung freiheitseinschränkender Maßnahmen in der beruflichen Altenpflege, sowie ReduFix – Reduzierung von Fixierung, ein Projekt zur Reduktion körpernaher Fixierung. Auch die Sozialministerien von Rheinland-Pfalz und Bayern bieten Hilfestellungen zur Vermeidung freiheitsentziehender Maßnahmen an.

  1. Körperliche Fixierungen sind größtenteils abzulehnen. Es gibt aber Situationen, in denen sie leider angebracht sind – wenn der Richter der Fixierung zugetimmt hat. Gerade dann, wenn eine massive Gefahr der Fremd- bzw. Selbstgefährdung besteht.
    Die Gerichtsbeschlüsse, wie sie hier im Kreis ausgestellt werden, sind extrem streng formuliert und unterliegen einer engmaschigen Kontrolle durch das Pflegepersonal. Bei uns in der Einrichtung ist eine Person, die fixiert werden muss. Sowohl im Rollstuhl wie auch im Bett mit einem Gurt (Brust, Beine, Bauch).
    Wenn die Person im Rollstuhl fixiert ist, steht sie mit ihm immer in Sichtweite einer Pflegekraft. Dies aber auch deshalb, weil die Person gerne nach anderen Dementen greift und diese an sich heran zieht. So kamen schon einige Bewohner ins Straucheln bzw. es geschah Stürze.
    Ist die Person im Bett fixiert, ist die Fachkraft dazu verpflichtet, stündlich eine (Sicht)Kontrolle vorzunehmen und diese auch mit ihrer Unterschrift zu bezeugen.
    Was besonders gut war, keiner der Pflegekräfte wusste zu fixieren, weshalb ich alle anleiten musste und auch die ersten Wochen im SD kontrollieren und korrigieren musste. Ein Zeichen, dass körperliche Fixierungen schon längst obsolet sind.

    Problematisch hingegen sehe ich die Gedankenlosigkeit vieler Kollegen, im Rollstuhl sitzende Demente OHNE Fixierungsbeschluss an den Tisch zu schieben und dann die Bremsen festzustellen. Denn genau das ist auch eine Fixierung! Und das ist wirklich eine verdammt häufig praktizierte Maßnahme, die ich äußerst verurteile!

    Anders sehe ich es bei der medikamentösen Fixierung, die manchmal wirklich stattfinden muss. Es gibt viele alte Menschen mit cerebralen Veränderungen, meist Männer, die aufgrund ihrer Krankheit zu einer enormen Aggressivität neigen. Und um die Menschen vor ihnen zu schützen, MÜSSEN sedierende Medikamente eingesetzt werden.

    In der ambulaten Pflege musste ich erleben, dass die alten Menschen GRUNDSÄTZLICH im Bett mit hochgezogegen Bettgittern liegen. Dies geschieht seitens der Angehörigen in der Annahme, dass sie darüber entscheiden können. Gibt man als Pflege(Fach)Kraft einen entsprechenden Hinweis, erntet man nur ungläubiges und beinahe wütendes Verhalten, so nach dem Motto: „Halte dich daraus! Wo kein Richter, da kein Urteil!“

    Rein theoretisch müssten die Verfahrenspfleger jeden alten Menschen besuchen, die zuhause von Angehörigen versorgt wird und auf die rechtliche Dimension der Fixierung hinweisen. Wird aber nicht gemacht, aus verschiedenen Gründen. Und die ambulanten Pflegedienste werden hier brav schweigen, denn sie haben Angst, ihre Klienten zu verlieren.

  2. Zur Strangulation kann es in deutlich weniger als einer Stunde kommen. Du weißt selbst, dass die Personalbesetzung in Pflegeeinrichtungen nicht auf die bei körpernaher Fixierung notwendige 1:1-Betreuung ausgerichtet ist.

    • Ich weiß. Aber der Gurt ist so gestaltet, richtig angelegt, dass die Person sich nicht strangulieren kann. Wenn er richtig angelegt wurde! Wenn!

  3. Worauf überhaupt nicht eingegangen wird, ist die psychologische Wirkung einer „Fixierung“. Ich weiß ja nicht, wie andere so drauf sind, aber bei mir ginge das sehr schnell einher mit Panik und Nervenzusammenbruch, bei häufigerer Anwendung mit Angst, Depressionen und – ja, Aggression. Wird denn davon ausgegangen, daß derart behandelte Menschen „nix mehr mitkriegen“ und es daher auf sie überhaupt keine Wirkung habe? Das kann ich mir nicht vorstellen.

  4. Das ist übrigens mit ein Grund dafür, warum so heftig und hartnäckig an den Gurten gerüttelt wird. „Fachgerechtes“ Anlegen geht nur, wenn die Person das Procedere über sich ergehen lässt.

  5. Pingback: Froschs Blog: » Im Netz aufgefischt #341

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