Politik und Gesellschaft

Verhältnismäßigkeit

Osama Bin Laden (Symbolbild)
Osama Bin Laden - The end
Osama Bin Laden – The end

Es gibt derzeit mehrere Dinge, die zeigen, wie wenig das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bei politischen Entscheidungen derzeit angewandt ist. Was schade ist, denn ausgewogene Entscheidungen sprechen für Sorgfalt und deuten Langfristigkeit und Nachhaltigkeit meist nicht nur an.

a) Die Erschießung Osama bin Ladens

Die USA brauchen jetzt also einen neuen Staatsfeind Nr. 1. Der bisherige böseste Wicht available wurde laut President Osama Obama in einem heftigen Feuergefecht nach erbittertem Widerstand trotz menschlicher Schutzschilde bei einer Bewegung, die aussah, als könnte Osama Bin Laden sich entweder eine Waffe in die Hand zaubern oder an der Nase kratzen erschossen. Es gibt keine verlässlichen Quellen über das, was genau geschehen ist1: die USA werden keine Fotos der Leiche veröffentlichen2, der Film, den sich Obamas Stab ansah, soll auch lückenhaft sein, und durch die maritime Entsorgung3 kann nicht einmal eine Obduktion Hinweise geben (oder auch nur beweisen, dass Bin Laden tatsächlich tot ist).

Unabhängig von der Frage des Ablaufes ist das wichtigere Problem aber die Verhältnismäßigkeit: Ein Staat, der eine Person außerhalb einer kriegerischen Handlung ohne gerichtliche Legitimation oder Notwehr tötet, mordet. Und damit begibt sich dieser Staat auf die gleiche Ebene wie die Terroristen. Ich will dabei nicht einmal behaupten, Bin Laden sei auch nur ansatzweise unschuldig gewesen. Unverhältnismäßige Selbstjustiz aber hat nichts im Rechtstaat verloren, und wenn die USA die demokratischen Prinzipien in alle Welt tragen wollen, sollten sie mal mit „Nulla poena sine lege“ anfangen.

b) Die Freude über Bin Ladens Tod

(Nicht nur) Bundeskanzlerin Merkel freut sich, dass Bin Laden tot ist. Sie ruderte nach vehementer Kritik4 mal wieder mehr schlecht als recht zurück, zumal sich selbst in der Union noch Restwiederstand gegen Frau Teflon regte. Festzuhalten ist jedenfalls, dass ein Repräsentant eines Rechtsstaates keine Freude empfinden sollte, wenn ein Mensch gewaltsam getötet wurde. Egal ob auf dem Schlachtfeld, in einer Todeszelle oder zuhause. Solche Äußerungen geziemen sich nicht für deutsche Politiker in Regierungsverantwortung. Warum?

Die Würde des Menschen ist unantastbar. (Artikel 1 Satz 1 GG)

c) Sicherungsverwahrung

Wo wir gerade bei Terrorismus sind, ist natürlich ein anderes Thema, deren Gefahren längst nicht so imminent anstehen, wie sie die christlichen Berufshetzer reflexartig behaupten, interessant: die Sicherungsverwahrung. Worum geht’s da noch mal? Geht es um die Aufgabe des Staates, seine Bürger vor Gewalt zu bewahren? Genau. Nur geht es eben nicht darum, Menschen, die die Strafe für ihre Taten bereits verbüßt haben, weiter wegzuschließen und damit demokratiefeindlicherweise grundlos in ihren Freiheitsrechten einzuschränken, sondern um den Schutz genau dieser Menschen vor genau diesem Einsperren – nach Verbüßen der ursprünglich verhängten Strafe wohlgemerkt. Eines der grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates lautet, dass eine Strafe nur dann verhängt werden kann, wenn zum Zeitpunkt der Tat ein Gesetz die entsprechende Strafe bereits vorsieht (siehe oben). Wenn der verhängte Strafrahmen verbüßt wurde, ist die damit Tat abgegolten. Nur in absoluten Ausnahmefällen, nämlich jenen, die das Bundesverfassungsgericht festgelegt hat, darf überhaupt nur daran gedacht werden, von diesem Prinzip abzuweichen und den Schutz der Allgemeinheit höher zu bewerten. Claudia Venohr hat dies im WDR 2 Klartext treffend zusammengefasst:

„Strafvollzug und Sicherungsverwahrung sind strikt voneinander zu trennen, und ein bloßes Wegsperren für immer ist verfassungs- und menschenrechtswidrig. Politiker sollten nun endlich ihre falschen kriminalpolitischen Hetzreden beenden und die Bevölkerung über die wahren Fakten aufklären, die da lauten: Es gibt keine Anstieg von schwerster Gewalt und Sexualkriminalität, und es sind in der Regel nicht freigelassene Sicherungsverwahrte, die abscheuliche Verbrechen, beispielsweise an Kindern, begehen. Es sind häufig die so genannten „netten Nachbarn von nebenan“, Täter, die bisher nicht auffielen, schon gar nicht in der Sicherungsverwahrung. […] Wer etwas anderes behauptet, lügt.“

Stattdessen versetzt das Outing freigelassener Straftäter ganze Bevölkerungsgruppen in Panik und verschafft rechtsextremen Schwachmaten eine überflüssige Plattform. Auch die übliche Unions-Schreierei ändert daran nichts, das die bisherige Praxis der Sicherungsverwahrung zurecht einzutonnen ist.

d) Netzsperren

Warum die Politik immer wieder ihre Überforderung durch die Existenz des Internet dadurch zeigt, dass sie Netzsperren fordert, hat Sascha Lobo bereits erklärt. Zunächst sollte eine Zensurinfrastruktur aufgebaut werden, um „an die armen Kinder zu denken“: erst ging’s gegen Kinderpornographie, was heftige Debatten auslöste. Dass ausgerechnet auch ehemalige Missbrauchsopfer gegen diese Schnapsidee argumentierten, zog dem Rest an behaupteter Angemessenheit dieses Plans den Schlüpfer die Hose herunter.

Dann war plötzlich immerhin noch der ganz allgemeine Jugendschutz die hanebüchene Begründung. Dass mittlerweile sogar ganz schnöde Profitmaximierung des Staates durch Abklemmen der Konkurrenz im Zusammenhang mit dem vom Europäischen Gerichtshof verworfenen Staatsmonopol für Glücksspiel herangezogen wird, ist eigentlich an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten. Aber die Politik überrascht uns ja immer wieder.

  1. Was daran liegen könnte, dass das Weiße Haus mit munter wuchernden Verschwörungstheorien vorhandene investigative Energie von interessanteren Dingen ableiten könnte.[]
  2. Die hinterlassene Sauerei war ja schon eklig genug.[]
  3. Weil angeblich kein Staat der Welt Platz für ein Grab zur Verfügung stellen wollte und die Zeit drängte.[]
  4. Das Internet ist voll davon.[]

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