Der wunderbare Podcast „Corona-Virus-Update“ des NDR blickt aktuell in einer mehrteiligen Reihe zurück: „5 Jahre Corona – Was haben wir gelernt?“ zurück. Ich habe bisher jede Folge gefeiert. Wichtige Erkenntnisse, klug und unaufgeregt mit reichlich Sachverstand aufbereitet.
In der aktuellen Folge „Kommunikation und Politikberatung“, zum Nachlesen zusammengefasst unter „Aus Corona-Fehlern lernen: Kommunikation in Pandemien“, wird über die Desinformation während der Pandemie berichtet. Es wird nicht nur sachlich knapp gegen verstrahlte Hetzer wie Bhakdhi und Wodarg ausgeteilt und Falschinformation richtig gestellt. Vor allem gibt es konkrete Learnings aus der Pandemie, z.B. wie Krisenkommunikation durch phasengerechte Erklärungen und Transparenz an der richtigen Stelle besser funktionieren kann. Ein Beispiel:
„Der Virologe Christian Drosten war einer der führenden Wissensvermittler in der Corona-Pandemie und auch Mitglied des Expertenrats. Er hat die Kommunikation mit der Politik eher als Einbahnstraße empfunden. Die Rückkopplung sei zum Teil spärlich gewesen und Resultate hätten auch die beratenden Wissenschaftler häufig erst aus den Medien erfahren, sagt er. Die Beratungs- und Entscheidungsprozesse müssten in künftigen Pandemien nachvollziehbar gemacht werden, so Drosten: „Die Bevölkerung muss das unbedingt mitkriegen, damit manche Desinformationsquellen weniger Chancen haben, ihre Fehlinformationen zu streuen auf dem Rücken der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und auch auf dem Rücken der Politiker. Man kann das nur mit Transparenz heilen.“
Als Beispiel dafür, wie sehr Medien durch Verkürzung und Verzerrung zur Desinformation beitragen, gibt es einen aktuell von den Schwurblern gefeierten NZZ-Artikel:
Der Artikel wurde verfasst von Johannes Boie, dessen ehemalige Positon als Chefredakteur von Welt und BILD nicht das allerbeste Leumundszeugnis in Sachen Seriosität. Als Quelle werden Geheimdienst-Informationen benannt, die man sich mangels Überprüfbarkeit auch einfach behaupten kann. Und dann der Clou: Ausgerechnet Christian Drosten, der im Laufe der Pandemie immer wieder die Laborthese als weniger wahrscheinlich dargestellt hat, weil es sehr viel mehr Indizien für eine vom Tiermarkt in Wuhan ausgehende Verbreitung gibt, wird als Kronzeuge für die Labor-Behauptung angeführt. Als Quelle dient ein Interview in der taz. Ob Boie aber mehr als nur die Überschrift gelesen hat, ist fraglich: „Je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde ich“, wird Drosten zitiert: „Der Virologe war früher überzeugt davon, dass das Sars-CoV-2 Virus aus der Natur komme, mittlerweile äussert er sich deutlich anders:
Und wenn man den mit „Je mehr Zeit vergeht, desto skeptischer werde ich“ betitelten Artikel liest, steht da allerdings das gleiche, was Drosten wiederkehrend auch in Interview1 immer sagt:
Da passt eigentlich alles zusammen: Die frühen Infektionen hatten eine räumliche Verbindung zum Markt. Dort gab es die Zwischenwirte, Marderhunde, und das Virus wurde genau da auf dem Markt gefunden, wo auch diese Tiere verkauft wurden. Auf dem Markt hat man auch die frühen beiden Viruslinien gefunden, von denen die Pandemie ausging. Diese Linien sind geringgradig unterschiedlich und gehen nicht auf einen bekannten gemeinsamen Vorfahren im Menschen zurück. Der Mensch hat also mit einiger Wahrscheinlichkeit das Virus mehrmals erworben, und das passt eher zu Infektionen an einer Gruppe von Tieren als im Labor. Natürlich könnten sich die Markttiere auch an infizierten Menschen angesteckt haben, aber wahrscheinlicher ist eine Infektion des Menschen am Tier, wie auch bei Sars-1.
Zusammengefasst:
- Alle vorliegenden Erkenntnisse sprechen für eine natürliche Ausbreitung im Umfeld von Tieren auf dem Tiermarkt.
- China dürfte genauere Daten haben, gibt diese aber nicht heraus.
- Mit Hilfe dieser Daten ließe sich sehr leicht die Laborthese widerlegen.
- Er ist skeptisch, dass die chinesischer Regierung die Daten zeitnah oder überhaupt veröffentlicht.
Und genau auf diesen letzten Punkt bezieht sich das „skeptischer“. Es geht dabei nicht um Zweifel an der Tiermarkt-Hypothese, sondern um die Veröffentlichung der dies belegenden Daten durch die chinesische Regierung.
Hat der Autor des Artikels überhaupt mehr gelesen als die Überschrift? So wird durch Quotemardern das Gegenteil der tatsächlichen Aussage. Fahrlässigkeit oder Absicht? In den arbeitsscheuen Redaktionen der Republik greift man jedenfalls gleich munter zu. Das Das ZDF zitiert die Passage mit Referenz auf die NZZ, also komplett aus dem Kontext gerissen:
Später äußerte sich Drosten auch anders: Im Januar sagte er der „taz“, dass er skeptischer werde, je mehr Zeit vergehe.
Ich wette, dass hier ebenfalls die Originalquelle maximal bis zur Überschrift gelesen wurde. Und gleich danach stellt die heute-Redaktion auch noch ohne jede Einordnung fest, dass „die amerikanische CIA [..] im Januar ihre Einschätzung zum Ursprung des Corona-Virus“ geändert habe. Auf Weisung der faktenallergischen und verschwörungsaffinen Trumpisten, nicht aufgrund neuer Erkenntnisse.
Dann krabbelt auch noch Wolfgang Kubicki unter seinem Stein hervor und krakeelt mit Bezug auf das Geraune, dass Karl Lauterbach nicht mehr Gesundheitsminister werden dürfe.
Viel mehr als auf nicht nachvollziehbare Behauptungen aus „Geheimdienstkreisen“ steil zu gehen, sollte man abwarten, was die Prüfung der BND-Erkenntnisse ergibt. Ende 2023 hat die Bundesregierung nämlich externe Experten mit einer Überprüfung dieser Erkenntnisse beauftragt. Zu der Gruppe gehörten Lars Schade, Präsident des Robert Koch-Instituts, und Christian Drosten. Ein Ergebnis steht noch aus.
Man kann diese Art „Journalismus“ nur noch verachten. Kein Wunder, dass die Schwurbler das feiern. Aber immerhin passt das zu der nur als dünn zu bezeichnenden Quellenlage. Es wird nicht dadurch wahrer, wenn sich deutsche und amerikanische Geheimdienste damit befassen. Es geht um Daten und Fakten. Und für den Tiermarkt in Wuhan kann dies nur die chinesische Regierung bereitstellen.
Übrigens kommt die Laborthese auch in der aktuellen Folge von „5 Jahre Corona – Was haben wir gelernt?“ vor. Der Biologe Fabian Leendertz vom Helmholtz-Institut für One Health in Greifswald führt (ca. ab Minute 64:47) aus:
„Was ich auch gelernt habe, ist, dass es unglaublich schwierig ist, Wahrscheinlichkeiten zu vermitteln. Ja also, wenn man jetzt sagt, technisch kann man nicht ausschließen, dass SARS-CoV-2 aus dem Labor gekommen ist, aber es ist wesentlich wahrscheinlicher, 99% oder was auch immer, ja, einfach wesentlich wahrscheinlicher aufgrund der Masse der Mensch-Tier-Kontakte in Farmen, auf diesen Wetmarket und so weiter, wo die Leute ungeschützt sind – im Labor ist man auf jeden Fall geschützt -, dass da das Virus übergesprungen ist, dann kann es durchaus sein, dass der Titel dieses Artikels dann „Leendertz schließt Laborunfall nicht aus“.
Und das zeigt das Medienproblem ja mal sehr deutlich.
- z.B. in Folge 2 von „5 Jahre Corona – Was haben wir gelernt“: „Zoonosen und Surveillance“ bzw. im dazugehörigenArtikel „Fünf Jahre Corona: Was sind die Lehren für die nächste Pandemie?“[↩]
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