Pflege und Gesundheit

Werte schätzen

CC BY-NC-SA 2.0 Paul-Jakob Meussling

Wissenschaft ist eine feine Sache.((Und wenn es nur darum geht, mit fundierter Forschung und standfesten Belegen zu untermauern, was diejenigen, die sich intensiv, aber eben unwissenschaftlich mit dem Thema beschäftigen, eigentlich immer schon wussten.)) So fanden fünf vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte((Ja, Frau Schavan schafft es doch tatsächlich, sich mit zukunftsträchtigeren Dingen zu beschäftigen als mit wissenschaftsfernen Staatsbesuchen und dem Ignorieren von Diskriminierung und Ungleichbehandlung.)) Forschungsprojekte zum Thema “Dienstleistungsqualität durch professionelle Arbeit” heraus, wie die Pflege sich selbst sieht, wie sie von der Gesellschaft angesehen wird und wie gegen Wertschätzungdefizite angegangen werden könnte. Als Ergebnis geistert gerade das Memorandum „Den Wert von Pflegearbeit schätzen“ durch die Fachwelt.

Versammeln wir mal ein paar der sehr begrüßenswerten Kernfeststellungen:

  • Politik und Gesellschaft müssen für eine bessere Ressourcenausstattung der Pflege sorgen.
  • Die Arbeitgeber müssen v.a. durch arbeitsorganisatorische Verbesserungen, neue Karrieremöglichkeiten und bessere Bezahlung die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessern.
  • Einrichtungen der Pflege sollten durch ein besseres „Selbstmarketing“ einen Gegenpol zu den skandalisierenden Darstellungen des Pflegealltages in den Medien zu sorgen.
  • Einrichtungen und Verbände, Politik und Gesellschaft dürfen das aktuell noch positive Selbstbild der Pflegenden nicht aufs Spiel setzen, denn „nur, wer die Beschäftigten wertschätzt, legt die Grundlage für eine gute Versorgung der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland“.

Interessant ist, dass die Bevölkerung der von der Politik so gerne vertretenen Einstellung „Pflege kann doch jeder“ für den ausgemachten Unfug hält, der er ist: Nur 2% der in der Studie „Berufe im Schatten“ befragten Personen, stimmten dem zu.((Die Kanzlerinnenwahlvereine dürfen also diesbezüglich künftig die Fresse halten. )) In einer Pressemitteilung des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung aus München werden die Erkenntnisse des Memorandums noch ein wenig ausgeführt:

Die Forscher stellen fest: Altenpflegekräfte begreifen ihre Arbeit als sehr sinnvoll und wichtig und sind stolz darauf. Fast 70% von ihnen wünschen sich, bis zur Rente in ihrem Beruf zu arbeiten, wenn sie das gesundheitlich schaffen. Sie leiden aber stark unter Zeitdruck, überhöhter Arbeitsintensität, Personalmangel und Effizienzdruck: Belastungen, die oft ihre Gesundheit schädigen.

In der Bevölkerung wird die Leistung der Pflegekräfte in den Einrichtungen einer repräsentativen Befragung zufolge ebenfalls anerkannt und wertgeschätzt. Zugleich werden aber auch die schwierigen Bedingungen gesehen, unter denen die Pflegekräfte arbeiten: 90% der Befragten meinen, es stehe zu wenig Geld für Altenpflege zur Verfügung; nur 5% glauben, dass in Pflegeeinrichtungen genügend Zeit für Betreuung und Versorgung der alten Menschen da ist.

Daraus folgern die Forschungsprojekte: Altenpflege braucht Wertschätzung und Anerkennung, sie braucht aber auch adäquate Rahmenbedingungen. Es wird mehr Geld für die Pflege benötigt – für mehr Personal, mehr Qualifizierung und bessere Entlohnung. Auch die Handlungsmöglichkeiten der Pflegekräfte sollten erweitert werden, etwa indem sie selbst Pflegeleistungen und Hilfsmittel verordnen können oder indem eine berufliche Selbstverwaltung vergleichbar den Ärzten etabliert wird.

Kommt mir bekannt vor. In meiner Einrichtung ist Wertschätzung auch immer wieder Thema. Aktueller Anlass: Wir hatten in beiden Häusern im September Besuch vom MDK und beides Mal gab es die Bestnote.((Sobald beide Transparenzberichte online sind, werde ich sie hier verlinken.)) Eine 1,0 liegt allerdings nicht weit weg vom aktuellen Landesdurchschnitt, der in Nordrhein-Westfalen aktuell bei 1,3 liegt. Richtig gelesen: Bei den diesjährigen Qualitätsprüfungen des „Pflege-TÜVs“ gibt es hierzubundeslande einen Schnitt, der die bestmögliche Note überhaupt nur knapp verfehlt. Schon im Oktober 2009 lag der Bundesschnitt bei 1,9. Viel zu hoch, oder? Das kann wegen der bekannt miserablen Pflege in deutschen Altenheim doch kaum die Wirklichkeit abbildern, oder? Oder. Wenn man nämlich mal ignoriert, was die üblichen Dampfplauderer von sich geben, gibt es ja noch eine weitere Interpretationsmöglichkeit für die guten Noten: Pflege ist längst nicht so mies, wie es die abstoßende Berichterstattung immer wieder vorspiegelt. Es wird möglicherweise sogar flächendeckend gute bis hervorragende Pflege geleistet. So, jetzt ist es raus.

Man darf jedoch bei der Negativpresse, die bestimmt bald wieder einen neuen Grund für allgemeine Hyperventilation finden wird, sogar Vorsatz unterstellen, kommt es doch durch sie zu einer nützlichen Kausalkette: Wenn Pflegeeinrichtungen konsequent skandalisiert werden, führt das dazu, dass die Anforderungen der Einrichtungen an ihr Personal steigen, um Anlässe für negative Noten – zum Beispiel die vermeintlichen „Kernkriterien“ der Pflegenoten: Dekubitusprophylaxe, Ernährung, Flüssigkeitsversorgung, Schmerzmanagement, Inkontinenzversorgung und Sturzprophylaxe((Das sind übrigens die Inhalte der nationalen Expertenstandards, die die für die Pflegenoten zuständigen Vertragspartner aber gerade für ungültig erklärt haben, weil ihnen das ausgebootete pflegewissenschaftliche Institut die Inhalte nicht einfach überschreiben wollte.)) – und damit für mögliche Einnahmerückgänge zu vermeiden. Die Überbelastung sorgt dafür, dass Pflegende immer mehr zu Krankheiten wie Burnout neigen, was die Medien derzeit ja perfiderweise dazu benutzen, Heime mit zu wenigen Fachkräften, wofür es neben Abzocken durchaus auch Gründe wie hohen Krankenstand, geringen Nachwuchs und allgemeinen Fachkräftemangel gibt, zu kritisieren. Diese ständige Skandalisierung, die teilweise immer noch auf unkritisch nachgeplapperten Fehlinterpretationen von veralteten Statistiken beruhen, hat aber noch einen weiteren Effekt, der auch durch die oben angesprochene Studie gedeckt wird:

Nur jeder 5. Befragte der angeführten repräsentativen Studie ist der Auffassung, dass Altenheime ein hohes gesellschaftliches Ansehen genießen. Dies verweist dabei in den Augen der Bevölkerung auf arbeitsorganisatorische Mängel, die zu schlechten Arbeitsbedingungen führen, nicht zuletzt aber auch auf die finanzielle Unterausstattung dieser Dienstleistungsbereiche. Nur jeder 20. sieht in den Pflegeeinrichtungen genügend Zeit für die Betreuung und Versorgung. Und neun von zehn Befragten sind der Auffassung, dass für Altenpflege zu wenig Geld zur Verfügung steht.

Natürlich müsste jetzt die Frage kommen, woher das Geld denn kommen soll. Schwarzgelb demonstriert gerade die eigene Unfähigkeit mit einer verkorksten Steuerentlastung. Da werden sie kaum spontan Geld in die Pflege pumpen. Und wer wird angesichts der immer bedrohlicher wirkenden Eurokrise ohne Gegenwehr einfach die Beiträge der Pflegeversicherung erhöhen? Wo doch die Pflege ohnehin so schlecht ist? Kausalkette Ende. Wobei man natürlich ehrlicherweise auch sagen muss, dass Pflege sich die mangelnde Lobby auch selbst zuzuschreiben hat, weil es die größte deutsche Berufsgruppe noch immer nicht geschafft hat, von ihrem erschreckend niedrigen Organisationsgrad in Gewerkschaften und Verbänden herunterzukommen. Das ist etwas, wo ich Pflege mal nicht lobhudeln werde.

Übrigens: Dass die Forschungsgruppe das schöne Memorandum bereits anlässlich einer Förderschwerpunkttagung am 30. und 31. Mai 2011 in Leipzig veröffentlichte, ändert nichts an der Richtigkeit seiner Aussagen. Es überrascht nur ein wenig, dass man jetzt so geballt darauf anspringt.

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