Aufreger Pflege und Gesundheit

Wie verhindere ich menschenwürdige Pflege? (Teil 2.185)

Jetzt hat auch Otto Wulff, Chef der Senioren-Union, den drohenden Pflegenotstand für sich entdeckt. Das liegt nahe, weil Senioren den Großteil der in Deutschland geleisteten Pflege empfangen und irgendwer((Meinetwegen auch ein Dampfplauderer wie Wulff, der sonst auch gerne mal Blödsinn über Abtreibung und Kinderlärm erzählt.)) sich für diese Zielgruppe einsetzen sollte. Es müsse selbstverständlich „Hartz-IV-Empfängern zugemutet werden können, auch im sozialen Bereich zu arbeiten.“ Durch Arbeitslose in der Pflege könnten nämlich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen werden: Erstens tut man so, als würde man etwas gegen den Pflegenotstand unternehmen1, und zweitens würden die Faulenzer endlich der Gesellschaft etwas zurückgeben.

Die gutbürgerlichen Stammtische, die wissen, das Hartz-IV-Empfänger ohnehin nur schmarotzend herumliegen und die Almosen des Steuerzahlers versaufen, applaudieren schon; schließlich wurde das faule Pack aus fehlgeleiteter Nächstenliebe schon nicht fürs Schneeschippen, Müllräumen und sonstige Gemeinschaftsdienste zwangsverpflichtet, und auch die Meldepflicht war nur ein stumpfes Schwert. Dass all diese tollen Vorschläge((Irgendwie erinnert das laute Nachdenken über mögliche Zwangsarbeitseinsatzgebiete für Hartz-IV-Empfänger an das reflexartige Winken mit Netzsperren bei jeder sich nicht bietenden Gelegenheit.)) trotz der Begeisterungsstürme bei Deutschlands Stammtischen nicht umgesetzt wurden, lag sicherlich nur an mangelnder Durchsetzungsfähigkeit der Regierung und nicht an der angeblichen Arbeitswilligkeit der Hartzer.

Um aber mal ein wenig Realitätsbezug in diesen Artikel zu bringen, verweise ich zunächst mal an die weisen Worte aus dem Freitag:

„Die Zumutung besteht allerdings in Wirklichkeit nicht in der Tatsache, dass es sich um eine Tätigkeit in der Pflege handelt. Eine Zumutung ist in diesem Zusammenhang wohl eher, dass entsprechende Jobs, trotz einem Pflegenotstand, der nicht erst seit der Abschaffung des Zivildienstes besteht, nicht als reguläre Arbeitsplätze eingerichtet und angemessen vergütet werden.“

Immer wieder damit zu kommen, dass Arbeitslose zur Arbeit in der Pflege zwangsverpflichtet werden könnten, hilft weder den Pflegebedürftigen noch der Pflege. Es fehlt an Fachkräften, nicht an Hilfskräften, denen die jetzt schön bis zur Überlastung geforderten Fachkräfte wegen der fehlenden Kenntnisse immer wieder kontrollierend hinterherlaufen müssten. Es fehlt an angemessener Bezahlung und öffentlicher Wertschäftzung der Pflege. Dass unzählige Laien, die eigene Angehörige zuhause pflegen, dabei vor die Hunde gehen, ist immerhin bei der Politik angekommen. Es zeigt aber auch, dass Pflege kein Job ist, den jeder unvorbereitet tun kann. Wie hierzublogs bereits erklärt ist darum der Ansatz, ungelernte Hilfskräfte en masse auf Pflegebedürftige loszulassen, hirntot.

Wulff aber hat eine Mission: „Besonders möchte ich mich auch jenen Bürgerinnen und Bürgern widmen, die wegen Alters und Krankheit von der Gesellschaft abgeschoben wurden und häufig großen seelischen und körperlichen Leiden ausgesetzt sind.“ Das hatte er schließlich schon vor fünf Jahren geheuchelt, als er sich von Friedbert Pflüger in dessen Kompetenzteam für den völlig vergeigten Wahlkampf in Berlin holen ließ. Heute will er, dass Menschen, die sich nicht dagegen wehren können, von Leuten versorgt werden, die zu dieser Arbeit gezwungen werden und keine entsprechende Ausbildung dazu haben. Das gab es schon mal, als sich im Mittelalter Mönche zwischen ihren Gebeten und Gottesdiensten um Kranke kümmern mussten und teilweise sogar Straftäter zur Versorgung Aussätziger gezwungen wurden.Was häufig nicht einmal ein Unterschied war, weil mancher Missetäter vor dem Zugriff der Strafverfolgung ins Kloster floh.

Nennenswerten Einsatz von Gehirnschmalz setze ich für seinen aktuellen Vorschlag lieber nicht voraus. Dann wäre nämlich Bosheit anzunehmen. Mein positives Menschenbild bringt mich jedoch zur Annahme, dass einfache Dummheit als Erklärung völlig ausreicht. Wulff sollte an seine eigenen Worte erinnert werden. 2009, als er sich gegen die zeitliche Grundlage für die Ermittlung des Pflegebedarfs echauffierte, formulierte er folgendes: „Wie menschlich und wie mitfühlend unsere Gesellschaft ist, zeigt sich auch daran, wie sie mit ihren älteren schwachen und pflegebedürftigen Mitgliedern umgeht.“ Sicherlich nicht dadurch, dass man ungelernte Hilfskräfte dazu zwingt, sich um hilflose Menschen zu kümmern. Da könnte man ja gleich Politiker ans Krankenbett schicken.

Update: Im DBfK-Blog good-care.de und beim Schnakenhascher wird der fassungslos machende Aufruf zur Entprofessionalisierung der Pflege ebenfalls treffend kritisiert.

  1. vgl. Zugangserschwerungsgesetz als Mittel gegen Kinderpornografie []

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