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Wir werden Covid-19 nicht los, indem wir Schulen und Kita ungeschützt offen halten

Coronavirus und vereinzelte Menschen (Symbolbild, gezeichnet)
Leben und Lernen mit dem Coronavirus

Seit Monaten dümpelt Deutschland in einem Larifari-Lockdown wegen der Covid-19-Pandemie herum. Beliebteste Richtung der grafisch aufbereiteten Fallzahlen ist seitwärts. Anfangs, weil die Maßnahmen völlig unzureichend waren; jetzt, weil sich durch die Trödelei deutlich ansteckendere Virusvarianten ausbreiten und seit ein paar Wochen für mal wieder rasante Anstiege der Fallzahlen sorgen. In Leverkusen lag der Anteil Mitte Februar bereits bei einem Viertel.1 Und mittlerweile sind wir bei über 75% angekommen. Danke für nichts, unfähige Landesregierungen.

Einfluss offener Bildungseinrichtungen in anderen europäischen Staaten

Und warum gehen bei uns die Zahlen so durch die Decke, obwohl wir vor ein paar Wochen erst auf einem zähen Weg nach unten waren? Weil man Kitas und Schulen zu früh geöffnet hat. Warum war das zu früh? Weil man von anderen europäischen Ländern hätte lernen können. Die Durchseuchung in Schulen und Kitas hat es nämlich unter gleichen Vorzeichen wie jetzt bei uns mit B1.1.7 unabhängig von einander in mehreren europäischen Ländern gegeben. Nur ein paar Beispiele:

Vereinigtes Königreich

In der Studie https://www.imperial.ac.uk/mrc-global-infectious-disease-analysis/covid-19/report-42-sars-cov-2-variant/ wird nüchtern die Entwicklung am Anfang der „Karriere“ von B1.1.7 beschrieben. Professor Drosten fasste dies im NDR-Podcast schön zusammen:

Und die Bildungsstätten und Kinderbetreuung waren komplett offen. Und unter diesen Bedingungen in dieser Zeit kann man in der Gegend von Südostengland sehen, diese Mutante kommt hoch und kommt auch vor allem mit Überbetonung in den Schulen hoch. Im Dezember wird das Ganze dann in die normale Bevölkerung weiterverteilt und Ende Dezember dann auch geografisch weiter verteilt von Südengland nach Nordengland. Aber es scheint so zu sein, dass das Ganze losgegangen ist mit sehr viel Rückenwind in den Schulen. Also auf einer gewissen Schulwelle, die entstanden ist im Hintergrund eines Lockdowns, ist dieses Virus also gesegelt. Wir wissen bis heute nicht ganz genau, ob das ein sogenannter Founder Effect ist. Also sprich, das Virus ist an sich überhaupt nicht übertragbarer als andere Viren. Aber es reitet auf einer Welle, die entstanden ist. Nicht wegen des Virus, sondern wegen Populationsbesonderheiten. Also zum Beispiel Schulen offen, alles andere zu. Und jetzt wird rein zufällig so ein Virus in eine Schule eingetragen. Dann wissen wir, diese Viren werden in derselben Alterskohorte weiter übertragen.

NDR-Coronavirus-Update, 5.1.2021

Wer überrascht tut, dass das Virus nun vermehrt die Schulen betrifft, darf also höchstoffiziell ausgelacht werden. Aber nicht genug, denn trotz dieses mahnenden Beispiels am Entstehungsort der Mutation haben diverse europäische Länder exakt den gleichen Fehler gemacht:

Portugal

Am 16.1.2021 wurde Portugal dafür gelobt, Schulen offengelassen zu haben. Am 23.1. führte dies zu einem harten Lockdown mit Ausgangssperre. Warum? Ups.

Frankreich

Frankreich ließ nach dem zweiten Lockdown ebenfalls die Schulen öffnen und musste danach in den dritten Lockdown, weil man wieder zu früh geöffnet hat2.

Belgien

Belgien macht bei den geplanten weiteren Schulöffnungen einen Rückzieher. Man sieht gut, warum:

So teilte am 19.3.2021 die belgische Regierung mit, dass über die Hälfte der Intensivbetten mit Personen unter 48 belegt sei. Es wurde explizit die Elterngeneration benannt. Die Eltern würden durch ihre Kinder angesteckt, die das aus der Schule mit nach Hause brächten, und würden es dann unter den Kollegen verteilen, wenn sie nicht Telearbeit machen würden.

Sichtbare Effekte von B1.1.7 in Deutschland

Und dann gibt es trotzdem immer noch so Blitzmerker, die trotz Vorliegen dieser Fakten genau diese Fakten nicht akzeptieren, weil es keine Fakten aus Deutschland sind3. Die werden in zwei Wochen umfassend vorliegen, weil die Regierung auf Brandbeschleuniger gesetzt hat 4. Und dort, wo man genau hinguckt, trifft man auf wenig Überraschendes.

Thüringen

Hallo, Thüringen, Du bist dran:

Weil zuvor immer wieder Lehrer und Erzieher positiv auf das Coronavirus getestet worden seien, habe man bei den Untersuchungen den Fokus auf die Kinder gelegt. Schweinsburg äußerte sich überzeugt, dass in vielen Fällen die Kinder als Überträger und damit Infektionstreiber in Betracht kommen. Schwierig sei die Situation, weil die Kinder in der Regel völlig symptomfrei seien.“

Wie das Landratsamt am Montagmorgen mitteilte, fiel in den Testzentren im Kreis Greiz in den vergangenen vier Wochen etwa jeder dritte Corona-Test positiv aus. Seit Mitte Februar seien bei PCR-Massentests insgesamt 935 Personen ohne Symptome getestet worden, 306 Coronainfektionen wurden dabei registriert. Fast die Hälfte der positiv Getesteten war jünger als 18 Jahre.

Kreis Greiz reagiert auf Corona-Inzidenz – Schulen und Kindergärten geschlossen

Niedersachsen

Und Niedersachsen so:

Warum finden mit B1.1.7 mehr Ansteckungen statt?

Professor Drosten erklärt sein Anfang Januar immer wieder, dass das Virus bei der jüngeren Bevölkerung durchlaufen wird, wenn nach der Impfung der Risikogruppen die NPIs5 einfach aufgehoben werden. Dies würde v.a. bei der Bevölkerung unter 70 zu vielen schweren Verläufen und vielen langfristigen Arbeitsunfähigkeiten bis hin zu LongCovid führen.6

Lothar Wieler vom RKI erklärte am 12.3.2021, dass die Ausbrüche besonders in Kitas zunehmen: Es gibt vermehrt Fälle bei 0-5-jährigen Kindern, und die Ausbrüche in Kitas werden größer, in dem Sinn, dass pro Ausbruch mehr Personen infiziert werden.

Corona-Pressebriefing des RKI vom 12.3.2021

Karl Lauterbach hat am Freitag-Briefing des RKI am 19.3.2021 auch erklärt, warum das bei Kids mit B1.1.7 so ist:

Warum die erhöhte Ansteckungsgefahr in diesem Kontext problematisch ist, erklären diese Grafiken: Beim Eintrag in die Einrichtung sind diese sehr effektive Katalysatoren, die die Infektion zu den Eltern tragen, von wo sie dann in die Arbeitsplätze getragen werden.

Screenshot aus Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2. Teil 4: Bildung, Schulen und Kitas
(Stand 4. März 2021)

Welche Möglichkeiten haben wir, um #BildungAberSicher zu gewährleisten?

Es mag sein, dass Euch das alles nicht bekannt ist, aber die ernstzunehmende Wissenschaft7 sind sich da einig: Sind Schulen und Kitas offen, spielt sich das Infektionsgeschehen dort ab, weil dort Kontakte stattfinden, die es bei der aktuellen Inzidenz aber zu minimieren gilt. So wünschenswert offene Kitas und Schulen sind, so dringend müssen wir erst die Fallzahlen nach unten fahren, das pädagogische Personal durchimpfen und ein funktionierendes Testregime einführen.8

Fakt ist: Solange nicht sichergestellt ist, dass in jeder Kita vor Ort mind. 2x, eher 3x pro Woche vom Personal und den Kindern Tests durchgeführt werden, wird es unweigerlich in der aktuellen Situation jede Woche zu Dutzenden, wenn nicht Hunderten von Ausbrüchen kommen. Das mit dem #BildungAberSicher ist sogar bei der Bundeskanzlerin angekommen9:

Daher hat das RKI vor Wochen bereits die Empfehlungen von Gruppen-/Klassenschließung auf Kita-/Schulschließungen geändert, weil B1.1.7 sonst nicht in den Griff zu bekommen ist.

Corona-Lagebericht des RKI vom 25.3.2021

Auch das kommt nicht von irgendwo, sondern wurde wissenschaftlich auf Basis der vorliegenden Informationen entwickelt10. Denn jede Woche, die man zu spät schließt oder zu früh öffnet, kostet mind. 2 Wochen längeren Lockdown, eher sogar mehr.

Und deswegen sollte man dringend überall die #NoCovid-Strategie anwenden. Hätten wir das im Januar schon gemacht11, wären wir jetzt schon so gut wie durch damit.

  1. Der große Ausbruch in einem Rheindorfer Pflegeheim war nur die Spitze des Eisbergs.[]
  2. Lustigerweise wie bei uns direkt in die dritte Welle hinein.[]
  3. Als sei die Bevölkerung in Deutschland irgendwie immun oder das Virus hierzulande harmloser. Ich glaube nicht, Tim.[]
  4. und einen Dreck auf so unwichtige Absprachen wie „Notbremse bei 100er Inzidenz“ gibt.[]
  5. Nicht pharmazeutische Inventionen, also Maßnahmen wie Kontaktminimierung, Abstand, Maskenpflicht, Niesetikette, Lüften[]
  6. Niemand hatte aber damit gerechnet, dass Deutschland so dämlich sein würde, das schon anzufangen, BEVOR wenigstens die Gruppe Ü70 geimpft ist.[]
  7. So ziemlich alle außer der Klitsche Streeck, Wodarg, Bhakdhi, Stöhr.[]
  8. Was ich zu der naiven Frage nach einem Konzept für die Schnelltestungen in den Schulen und Kitas im Schulausschuss gehört habe, erzähle ich ein anderes Mal.[]
  9. Übrigens sagte das der Chef des RKI, Lothar Wieler, bereits am 5.2.2021: „Eine Öffnung von Kitas und Schulen könne in Deutschland nur mit klaren Schutzkonzepten möglich sein“[]
  10. Unter https://www.google.com/maps/d/u/0/viewer?mid=1J3_XAIpyGIFCWUz7VAel_Z3Gnf_jju_c&ll=51.232230152602796%2C11.1756916682888&z=6 werden übrigens Fälle mit Mutationen in deutschen Schulen und Kitas gesammelt.[]
  11. Wie vorgeschlagen.[]

4 Kommentare zu “Wir werden Covid-19 nicht los, indem wir Schulen und Kita ungeschützt offen halten

  1. Pingback: Was passiert, wenn man die Durchseuchung beschließt und sie „Notbremse“ nennt – Die Sockenseite

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