Aufreger Politik und Gesellschaft

Irgendwas ohne Astroturfing

Wie mancher weiß, bin ich seit einigen Jahren Elternvertreter. Ich bin einst im Herbst 2017, als meine damals zweieinhalbjährige Tochter gerade in der Kita((Kinderhaus am Bürgerbusch, möglicherweise die tollste Kita in Leverkusen, was man nicht nur, aber vor allem im Lockdown merkt.)) eingewöhnt worden war, zum Elternabend gegangen.((Eigentlich wollte meine Frau gehen, aber kurzfristig hatte sie keine Lust.)) Als ich zurück kam, war ich im Elternbeirat. Und ein paar Wochen, als nach der Einladung zu einer Versammlung der Elternbeiräte niemand außer mir Zeit hatte, war ich plötzlich Mitglied des Stadtelternrats Leverkusen. Und damit begann das mit der Elternarbeit so richtig.

Elternarbeit – was ist denn das?

Durch die Tätigkeit im Stadtelternrat kam ich frühzeitig mit dem KiBiz in Berührung, dem Gesetz, das in NRW die Kindertagesbetreuung regelt. Schnell stellte ich fest, dass in der Kita meiner Tochter alles prima und insb. die Beteiligung der Elternvertreter überdurchschnittlich gut war. Es gab aber diverse Probleme in der Stadt Leverkusen, die der Stadtelternrat lösen wollte. Zu wenige Kitaplätze, schlechte bauliche Zustände, fehlende Übermittagsbetreuung, mangelnde Elternbeteiligung, you name it. Schnell war klar, dass meine Erfahrung mit WordPress und als Pressepirat hilfreich war, denn so richtig kannte sich niemand mit dem Blog oder mit dem Verfassen von Pressemitteilungen aus. Also hatte ich den Job.

Über die sehr aktive Vorsitzende Irina Prüm nahm der Stadtelternrat Leverkusen Kontakt zu anderen so genannten Jugendamtselternbeiräten in NRW((Wer wissen will, was so ein JAEB macht, guckt hier. Da haben wird das am Beispiel Leverkusen erklärt.)) sowie zum Landeselternbeirat auf. Es gab eine große WhatsApp-Gruppe, und schnell stellte sich heraus, dass überall die gleichen Probleme bestanden. Es gab ignorante Kitaleitungen, unkooperative Jugendämter und hilflose Eltern. Dazu waren viele Elternvertreter mit Aufgaben wie Pressearbeit, Internetpräsenz oder politischer Arbeit((Der Jugendamtselternbeirat entsendet ein beratendes Mitglied in den Kinder- und Jugendhilfeausschuss. Dieses Mitglied hat zwar kein Stimmrecht, kann aber Anfragen stellen und Anträge einbringen.)) erst einmal eher überfordert. Man half sich also gegenseitig, und jeder hatte irgendein Talent, was anderen gerade half. Das gleiche liebenswerte Durcheinander, wie ich es auch im Stadtelternrat erlebte.((Da war es nämlich genau so.)) Es sind halt alles Eltern, die die ehrenamtliche Aufgabe neben Familie und Beruf irgendwie so dazwischen quetschen. Lange Sitzungen, Telefonate oder Videokonferenzen nach dem gemeinsamen Familien-Abendessen, täglich Dutzende E-Mails, hunderte Messenger-Nachrichten, Anfragen von anderen Eltern oder von der Presse. Und nebenher wollen Partner und Kinder sowie der Arbeitgeber ja auch noch etwas. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber jeder kennt jemanden, der z.B. durch den Beruf oder andere Tätigkeiten nützliche Erfahrungen oder Talente mitbringt. Ich stellte im allgemeinen Gewirbel zudem fest, dass die Eltern, die sich in den Kitas, vor allem aber in die JAEBs einbringen, eher einen etwas höheren Bildungsgrad haben und/oder wirtschaftlich gut aufgestellt sind. Aus einer solchen Position scheint ehrenamtliche Tätigkeit eher üblich.((Dies ist keine auf einer sozialwissenschaftlichen Studie beruhende Aussage, sondern bloß mein Eindruck. Und vor allem stelle ich das absolut wertfrei fest. Jeder entscheidet ausschließlich selbst, ob und wie Engagement möglich ist.))

Nebenbei wurde im Jahr 2019 eine Reform des KiBiz beschlossen, bei der einige wiederkehrende Themen der Elternarbeit angestoßen, aber längst nicht alle Probleme zufriedenstellend gelöst wurden. Die Schließtage((Regelmäßiges Thema für Knatsch, weil manche Träger die Höchstgrenze gerne ausreizen und die Urlaubskonten der Eltern leider nicht unendlich sind. Die Schließtage sollen nicht mehr als 25 pro Jahr betragen. 2020 wurde das ausnahmsweise zulässige Maximum auf 27 gesenkt, vorher waren es 30 Tage.)) wurden etwas familienfreundlicher gestaltet. Zusatzbeiträge wurden verboten.((Manche Kitas versuchten, Extragelder für Bastelgeld, Windelpauschalen, Dekoration, hauswirtschaftliche Hilfskräfte o.ä. einzusammeln oder den Eltern verpflichtende Tätigkeiten auszudrücken.)) Den Kommunen wurde endlich ausdrücklich aufgetragen, regelmäßig die Eltern selbst nach den Betreuungsbedarfen zu befragen statt nur mit Prognosen zu arbeiten.((„Wie schaffen Sie es, immer genug Kitaplätze zu haben?“ „Nun, wir gucken uns jedes Jahr die Geburtszahlen an, und dann wissen wir, wie viele Kitaplätze wir in drei Jahren brauchen.“)) Es gab aber genug Themen, die man mit Hilfe anderer JAEBs oder durch Beratung des LVR weiter bearbeiten konnte. Der Austausch mit anderen ist und bleibt elementares Element der Elternarbeit – vor Ort in der Kita, auf kommunaler Ebene und eben auch überregional.

Elternarbeit unter Corona-Bedingungen

Im Jahr 2020, als die Corona-Pandemie zuschlug, hatte das – vor allem wegen des Betretungsverbots für Kitas im Frühjahr – große Auswirkungen auf die Elternarbeit. Viele Eltern verzweifelten, weil sie wenig Verständnis ihrer Arbeitgeber fanden und sich zwischen Kinderbetreuung und Arbeit aufrieben, ihre Jobs verloren oder vor Stress nicht ein noch aus wussten. In dieser Gemengelage fanden sich einige Eltern unter dem Motto #ElterninderKrise zusammen, um mit einer Demo auf die Probleme der Familien aufmerksam zu machen. Für diese Demo, der weitere Termine folgten, wurde in der WhatsApp-Gruppe geworben, viele Elternvertreter beteiligten sich.

Und hier kommt #FamilieninderKrise (FidK) ins Spiel. Gemeinsam mit Eltern aus Hessen gründeten Eltern aus NRW diese Initiative, die sich selbst als Lobbygruppe für Eltern versteht. Schauen wir mal ins Selbstverständnis der Initiative:

Screenshot von familieninderkrise.com

Die Lobbygruppe selbst hat natürlich kein Mandat der Elternschaft, auch wenn sich viele gewählte Elternvertreter daran beteiligen. Diese hätten als gewählte Elternvertreter durchaus die Legitimation für alle Eltern zu sprechen, im Kontext von FidK tun sie dies aber eben nicht. Dies ist für den weiteren Verlauf wichtig.

Konfliktlinien bei der Sicherstellung von Bildung

Im Zuge der sich in der zweiten Jahreshälfte zuspitzenden Corona-Epidemie gab es unter den Elternvertretern durchaus unterschiedliche Meinungen, wie richtig mit dem Infektionsrisiko umzugehen sei. Dabei gibt es zwei Hauptlinien:

  1. Der Standpunkt von FidK erklärt sich vor allem aus den Erfahrungen des Frühjahrs: Priorität hat es, Kinderrechte wie Bildung und Umgang mit Gleichaltrigen zu bewahren und Betreuung sicherzustellen.
  2. Die Position #BildungAberSicher setzt die Priorität auf den Infektionsschutz, der bei der Bildung unbedingt gewährleistet sein muss.

Ich selbst schließe mich inhaltlich unbedingt #BildungAberSicher an. Nicht nur, weil ich als Altenpfleger bereits zwei Mal mit größeren Ausbrüchen von Covid-19 in unserer Einrichtung kämpfen musste. Sondern auch weil ich möchte, dass unsere Tochter keinem unnötigen Risiko ausgesetzt wird. Eltern, die sich z.B. gegen die Maskenpflicht für pädagogisches Personal wenden, kann ich nicht verstehen. Die Masken schützen ja unsere Kinder, und natürlich erkennen die Kids ihre gewohnten Bezugspersonen in der Kita auch mit Masken. Außerdem sind auch mindestens Fünfjährige durchaus in der Lage, selbst adäquat mit einer Alltagsmaske umzugehen.((Unterschätzt mir die Kids nicht! Die begreifen die Notwendigkeit der Hygieneregeln besser als so mancher Erwachsene.)) Bei Grundschülern halte ich es insb. wegen der Weigerung der Schulen, der lokalen Schulbehörden sowie des Kultusministeriums, den Unterricht durch technische Hilfsmittel sicherer zu machen, für gefährlich, bei Grundschülern im Unterricht auf Masken zu verzichten. Als Vertreter im Schulausschuss der Stadt Leverkusen habe ich zudem unter dem Motto #BildungAberSicher zwei Anträge und eine Anfrage eingebracht:

Kritik an FamilieninderKrise

Beide Standpunkte haben Gemeinsamkeiten, in der Debatte auf Social-Media-Plattformen wie Twitter und Facebook dominieren aber die Unterschiede. Wie man es sich ausdenken kann, wird in der Debatten auf beiden Seiten mit teilweise unfairen Mitteln gearbeitet. Ein besonders absurder Vorwurf an FidK wurde aus folgendem Szenario abgeleitet:

  1. Die ehemalige Familienministerin Kristina Schröder, die keinerlei besonders glanzvolle Leistung im Ministeramt abgeliefert hatte und für eine besonders konservative Familienpolitik steht, hatte sich im Juni 2020 von FidK interviewen lassen.
  2. Einige Mitglieder von FidK haben studiert und/oder arbeiten im unteren bis mittleren Management von z.T. größeren Firmen, bei Startups, bei Bildungsträgern oder in Kanzleien.

Daraus wird abgeleitet, dass FidK zum einen von Kristina Schröder gesteuert würde und zum anderen eigentlich ein Projekt der neoliberalen Lobbygruppe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sei. Es handle sich um Astroturfing:

Astroturfing: politische Public-Relations- und kommerzielle Werbeprojekte, die darauf abzielen, den Eindruck einer spontanen Graswurzelbewegung vorzutäuschen

Lemma Astroturfing in der deutschsprachigen Wikipedia

Das ist absurd. Ich kenne eben einige der Mitglieder, deren familienpolitischer Einsatz sich seit Jahren erkennbar wenig um neoliberale Ansätze kümmert. Wer z.B. vehement gegen Zusatzbeiträge vorgeht, damit alle Einrichtungen gleiche wirtschaftliche Voraussetzungen haben und sich keine Vorteile aus stärkerer wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit der Eltern der betreuten Kinder ziehen können, handelt gegen das neoliberale Leistungsprinzip. Der Einsatz für Kinderrechte und für bessere Förderung in Kitas ist keine spontan entstandene Sache, sondern für gewählte Elternvertreter gesetzliche Aufgabe. Das machen die also z.T. seit Jahren, und weil sie jetzt nebenher so ziemlich das gleiche unter anderem Namen machen, täuschen sie eine Graswurzelbewegung vor? Nah.

Wenn all die Leute, die Zeit damit verbringen, sich zu streiten, ihre Energie für Kinder einsetzen würden, hätte Familienpolitik einen unglaublich hohen Stellenwert. Dann hätten wir nämlich top Infektionsschutzmaßnahmen, kleine Gruppen, viel Personal und eine familienfreundliche Arbeitssituation.

Zitat eines FidK-Mitglieds

Weiterer Hinweis: Wer die Website der Initiative beleuchtet, merkt, dass sie eher unkoordiniert mit WordPress zusammen geklickt ist. Das passiert eben nebenbei nach Feierabend, wenn die Kinder im Bett sind. Da unterlaufen auch schon mal Fehler: Als FidK zur Kommunalwahl 2020 Wahlprüfsteine verschickte, arbeitete ich für Die Linke an einer Antwort mit. Diese wurde beim Upload der Antworten auf der FidK-Website vergessen. Erst als ich darauf aufmerksam machte, wurde der Fehler korrigiert.

Die Antworten wurden nicht wirklich mit modernen Webtechniken präsentiert:

Screenshot der Wahlprüfsteine bei familieninderkrise.com. Ja, mit Sidescrolling, im Bild abgeschnitten.

Das ist Handarbeit von ganz normalen Menschen, die sich da was selbst beigebracht haben. Es steckt alles, nur keine teure Agentur dahinter. Wenn das von der INSM gefördert wird, sind die aber mal äußerst knauserig. Das ist wie bei der Elternarbeit ehrenamtliches mit Wasser Kochen. Auf Twitter wird das als „höchst professionelle Pressearbeit“ bezeichnet. Da spricht entweder Neid oder Ahnungslosigkeit, aber am ehesten beides.

Weitere Vorwürfe gegen FidK:

  • Angeblich würde die Initiative für alle Eltern sprechen, sei aber gar nicht dafür legitimiert. Man braucht nur ins Selbstverständnis (siehe oben) schauen, dass sie gar nicht angeben, für alle Eltern zu sprechen. Sie sprechen für Eltern und maßen sich also gar kein Mandat an.((Und das obwohl einige Mitglieder eben durchaus gewählte Elternvertreter sind, die ein solches Mandat haben.))
  • FidK würde gefühlskalt bzw. aggressiv blocken und dadurch Meinungen unterdrücken. Wenn derart verständnislos Beschwerden über legitime Blocks kommen, kann ich auch mal aus der Haut fahren. Aber davon erzähle ich in einem anderen Beitrag.

Übrigens ist auch der Vorwurf, FidK stünde den Leerdenkern nahe und würde Menschenleben opfern, völlig daneben. Das begreift man, wenn man das Selbstverständnis liest (siehe oben). Das erkenne ich aber auch aus der Whatsapp-Gruppe „JAEB Coronagedöns“, die versucht, die gerne ausufernden Diskussionen zum Thema Corona und den Umgang damit zu bündeln, damit in der Hauptvernetzungsgruppe mehr Raum für andere Themen der Elternarbeit ist. Dort hat sich niemand der Diskussionsteilnehmer je leugnend zu Corona geäußert, noch wurde die Sinnhaftigkeit von Abstand, Lüften und Hygiene in Zweifel gezogen. Es gibt schon mal unterschiedliche Ansätze, wer wann Masken tragen sollte, oder welche Priorität offene Kitas haben müssen. Dort eint das gemeinsame Ziel: die Verbesserung der Umstände in der Kindertagesbetreuung.

Ich teile diverse der Standpunkte von FidK ausdrücklich nicht. Maskenverweigerung, wie sie z.B. bei der Demo in Wiesbaden laut wurde, geht gar nicht, Distanzlernen ist vor allem für ältere Schüler ab Klasse 8 sehr sinnvoll, und weitere sichere Alternativen zu Präsenzunterricht in vollen Klassen habe ich im Antrag Verteiltes Lernen beschrieben. Aber wenn Unfug über diese Gruppe erzählt wird, erlaube ich mir, dies zu korrigieren.

Manche Leute waren in der Diskussion übrigens intellektuell so herausgefordert, dass sie mich mehrfach fragten, ob ich denn Vertreter von FidK sei.((Klar, egal wie absurd die Vorwürfe sind, nur Mitglieder würden die Initiative verteiden, auch solche, die regelmäßig Positionen von #BildungAberSicher vertreten.)) Nein. Bin ich nicht. Ich lehne manche ihrer Forderungen ab, weil ich sie für unter Pandemie-Bedingungen für zu gefährlich halte.

PS: Angesichts der angespannten Diskussion und der in die Presse geschwappten Kritik an FidK halte ich es übrigens für keine allzu gelungene Idee, dass der Landeselternbeirat NRW eine Pressemitteilung gemeinsam mit FidK veröffentlicht hat. Der LEB NRW ist demokratisch legitimiert, FidK trotz personeller Überschneidungen nicht. Hier wäre eine klare Trennung sinnvoller gewesen, auch wenn beide Gremien ähnliche Standpunkte haben. Denen ich nur zum Teil folge.

Screenshot der gemeinsamen Presseerklärung von LEB NRW und FidK

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