Pflege und Gesundheit

Fesseln fallen

Das Urteil ist eine erfreuliche Überraschung: Das Amtsgericht Freiburg hat den Sozialhilfeträger dazu verurteilt, die Kosten für eine Pflegekraft im Nachtdienst zu übernehmen, die über eine sturzgefährdete Seniorin wachen soll, damit diese nicht fixiert wird. Das ist ein Sieg für die Freiheitsrechte! Warum? Stellt Euch mal vor, ihr wäret mit den untenstehenden Gerätschaften an Euer Bett gefesselt.


(Quelle: Stealth12, Lizenz CC-BY-SA)

Seit einiger Zeit gibt es nämlich eine Bewegung gegen unreflektierte Fixierungen wie das reflexartige Hochziehen von Bettgittern und Festschnallen von Bauchgurten. Jahrzehntelang waren solche und ähnliche Maßnahmen((Anbringen von Vorstelltischen, Feststellen der Rollstuhlbremse, Sedierung mit Medikamenten, Verschließen von Türen, Trickschlösser oder Fixierungen mit Gürteln oder Tüchern …)) in der Pflege alltäglich, dabei sind dies freiheitsentziehende Maßnahmen, die einer richterlichen Genehmigung bedürfen. Und keinen Schutz vor Stürzen darstellen. Im Gegenteil: Die Rechtsmedizinerin Andrea Berzlanovich belegt, dass „im gerichtsmedizinischen Obduktionsgut werden immer wieder Todesfälle von pflegebedürftigen Patienten speziell im Zusammenhang mit mechanischen Fixierungsmaßnahmen beobachtet“ werden. Beim Versuch, sich aus (oft nicht sachgemäß angebrachten oder nicht sachgemäß anzubringenden) Fixierungen zu befreien, kommen jedes Jahr Dutzende Menschen zu Schaden: Sie stürzen über die hochgestellten und die Fallhöhe erhöhenden Gitter, sie strangulieren sich beim Versuch, sich aus dem Gurten oder unter dem Gitter her zu winden. Das sind oft grauenvolle Anblicke. Viele Pflegeeinrichtungen wollen sich dies ersparen, und Projekte wie Redufix, Handeln Statt Misshandeln und Eure Sorge fesselt mich((Die eine Sache, die das Bayerische Staatsministerium für
Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen mal richtig gemacht hat.)) fördern sie auf dem Weg zum fixierungsfreien Heim.

Dennoch versuchen verschiedene Kostenträger, die Pflege immer noch dazu zu zwingen, Menschen gegen ihren Willen festzubinden oder einzusperren, wenn andere Maßnahmen zur Sturzprophylaxe nicht ausreichen. Zum Glück bekommen sie dies zunehmend von den Gerichten um die Ohren gehauen. Studien zeigen außerdem, dass nicht einmal der vorgebliche Hauptzweck, nämlich die Sturzvermeidung, durch Fixierungen erreicht werden kann. Durch die reduzierte Mobilität und die dadurch sinkende Kraft steigt nämlich das Risiko, in Fixierungspausen zu stürzen, dramatisch. Dennoch sind gefährlicherweise auch manche Pflegekräfte noch immer der irrigen Ansicht, die richterliche Genehmigung einer Fixierungsmaßnahme sei nicht ständig auf tatsächliche Notwendigkeit zu überprüfen, sondern eine Verpflichtung, und die Pflegekraft bekäme sogar Ärger, falls die Bewohnerin aufgrund einer nicht angebrachten Fixierung stürzen sollte. Das ist erschreckend falsch.

Deswegen ist das Urteil des Amtsgerichts Freiburg ein Sieg für die Freiheit.

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