Aufreger Pflege und Gesundheit

Angeschwärzte Arbeit

Aufgescheucht von der üblichen Panikmache der Medien (dieses Mal: die Welt am Sonntag) heuchelt die versammelte Politik, dass in vielen((„Viel“ steht hier im Sinne von „immerhin ein Fünftel“. Das ist zu viel, klar, aber es sollte nicht der zur weiteren Negativkampagne beitragende Eindruck einer Mehrzahl entstehen.)) Altenheimen zu wenig Personal eingesetzt würde. Der angeblich drohende, aber längst eingetretene Pflegenotstand und die Aushöhlung der Fachkraftquote fielen demnach höchstwahrscheinlich überraschend vom Himmel. Und dass examiniertem Personal mittlerweile fünfstellige (!) Kopfprämien angeboten werden, wenn sie den Arbeitgeber wechseln, hat sicherlich so überhaupt nichts damit zu tun, dass es derzeit einfach nicht ausreichend verfügbares Fachpersonal gibt.((Wenn bis zum Jahr 2020 konservativ geschätzt Bedarfszahlen von 75.000 fehlenden Fachkräfte im Raum stehen, weswegen bereits über das Anwerben von Pflegekräften aus China angedacht wird, bemerkt man deren Fehlen sicherlich frühestens im Herbst 2019.))

Der eigentliche Skandal ist, dass sich jetzt die Politik, die maßgeblich angeregt hat, zu den Fachkräften eben auch Hauswirtschafterinnen und Sozialarbeiterinnen zu zählen, jetzt beklagt, dass zu wenige Pflegefachkräfte eingesetzt würden. Ihr habt’s so gewollt, um die Kosten für die Pflegeversicherung im Keller zuhalten, also hört die Jammerei auf! Es nützt auch nichts, mal wieder die böswillige Mär von verhungernden und verdurstenden Bewohnerinnen zu verbreiten. Außerdem trägt die von der Politik gestützte Geringschätzung der Pflegeberufe immer weiter zur Verschärfung der Situation bei, weil sie Pflegekräften die Lust am eigenen Beruf ausredet und verhindert, dass sich die so dringend benötigten Nachwuchskräfte engagieren. So wurde jüngst die Pflege als Berufsgruppe aus der Entwicklung der für die Pflege verpflichtenden nationalen Expertenstandards ausgeschlossen. Außerdem haben die „Vertragspartner“ alle bisher vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege am pflegewissenschaftlichen Institut der Hochschule Osnabrück entwickelten Standards, die den aktuellen Stand pflegerischen Wissens abbilden, für ungültig erklärt!

Als jemand, der für zwei Einrichtungen arbeitet, denen der MDK jüngst bei Prüfungen jeweils eine erfreuliche 1,0 für den Transparenzbericht feststellte, weiß ich, dass gute Pflege auch zum Alltag gehören kann. Ich müsste irritiert sein von der fortgesetzten Schlechtmache, aber es gehört weiterhin so sehr zum Alltag, dass man abstumpfen könnte. Es mag denn auch naiv sein, wenn ich angesichts eines aktuellen Landesschnitts von 1,3 Anzeichen dafür sehe, dass die aller Orten beklagte miese Pflegequalität möglicherweise vorwiegend herbeigeredet wird. Natürlich((…und höchst wahrscheinlich!)) kann das Instrument des Pflege-TÜVs auch ungeeignet sein und daher einer geringe Aufdeckungsquote aufweisen. Ich nehme mir trotzdem die Freiheit heraus, mich gegen reflexartiges Misstrauen zu wehren. Wenn Pflege gut ist, gehört das gefälligst öffentlich gemacht!

Womit wir wieder beim Gegenteil von „gut“ sind: Die Politik in Gestalt eines ahnungs- und kompentenzfreien Wichts hatte Ende 2010 noch großmäulig das Jahr der Pflege ausgerufen, das wichtige Thema dann aber doch schnell wieder unter den üblichen Streitigkeiten eines geübten Sauhaufens begraben. Ist dies das, was in Berlin unter „Liefern“ verstanden wird? Man stelle sich einmal das Gekeife vor, wenn Pflegekräfte ihre Kunden dermaßen hängen ließen!

Update (2011-11-03): Das DNQP ist offenbar wieder im Boot. Auf der Website findet sich ein Bewerbungsaufruf für die wissenschaftliche Leitung für den Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen“. Hinter den Kulissen scheint man sich also geeinigt zu haben. Leider finde ich darüber bisher nichts im Netz, nicht mal bei dnqp.de selbst.

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